Rezension: Georg Mair, FF, Juni 2007


Die Schlange Erinnerung. Der neue Erzählband der Südtiroler Autorin Anne Marie Pircher. „Rosenquarz“ – Geschichten von Menschen, die sich auf einem schmalen Grat bewegen.


Nein, kitschig erzählt sie nicht. Sie erzählt kühl und genau von Verletzungen, die einer Frau zugefügt werden. Nein, sie lässt nichts weg, sie erzählt dennoch knapp. Von ungeheuerlichen Dingen oder von der Liebe muss nur das Notwendigste gesagt werden. Aber auch nicht weniger. Anne Marie Pircher erzählt in ihrem neuen Erzählband Rosenquarz von Menschen und ihrem Geheimnissen. Nach und nach legt sie Dinge offen, ohne dabei mit einem spektakulären Ende zu kalkulieren.
„Rosenquarz“ ist auch der Titel der längsten Erzählung im neuen Buch von Anne Marie Pircher – ihre Güte lässt die vier Erzählungen, die danach kommen, verblassen. „Rosenquarz“ erzählt die Geschichte von Paula, die bei einem Studienaufenthalt in den USA von einem Mann aus dem Iran, den alle auf dem Campus nur den Schah nennen, vergewaltigt worden ist. In ihrer Heimatstadt, wo sie als Friseuse arbeitet, begegnet sie Amir, der ebenfalls aus dem Iran kommt. In ihm erkennt sie ihren Peiniger wieder, und dennoch ist Amir ein ganz anderer Mann, das sanfte Gegenstück des „Schah“.
Anne Marie Pircher erzählt aus der Sie-Perspektive die Geschichte in Überblendungen, in die sich die Träume von Paula mischen. Die Autorin erspart in ihrem zweiten Erzählband dem Leser nichts, sie ist grausam genau. Sie erzählt mit Bedacht auf die Details, hart an der Realität – so schält sich aus den Einzelheiten deutlich Meran als Schauplatz der Geschichte heraus. Manchmal genügt nur ein Wort, um die Erinnerungen in Paula und ihr Misstrauen auszulösen – ihr Leben steht nach Jahren, in denen sie Erinnerungen in sich begraben hat, plötzlich auf der Schneide. „Wie eine böse Schlange“, heißt es einmal, „kriecht die Erinnerung aus ihrem Körper und vermischt den Schmerz mit ihrem Kuss.“
Anne Marie Pircher ist in ihrem neuen Buch weiter gegangen als bisher. Sie erzählt nicht kunstvoll, immer wieder gibt es Sprünge in der Erinnerung, der eine oder andere Satz bedient Klischees. Aber die Geschichte von Paula, die das Haareschneiden wie eine Kunst betreibt und sich cool gibt, ist nicht glatt. Immer wieder bricht die Fassade, vor lauter Angst, das Leben könnte sich wiederholen. „Rosenquarz“, die Geschichte einer Heilung, ist eine Erzählung, an die Anne Marie Pircher in ihrer weiteren Arbeit wird anknüpfen können.